Balgach. 12.Mai 2016
Kurzinformationen für im Schulbereich politisch Interessierte und alle Stimmberechtigten
Hans, mein Sohn, was machst du da?
Vater, ich studiere.
Hans, mein Sohn, das kannst du nicht.
Vater, ich probiere.
Hansli, wo bisch?
Da obe.
Was machsch?
Nüt.
Chumm denn abe , wenn-d‘ fertig bisch.
Liebe Leserinnen, liebe Leser
Sprachen lernen, Fremdsprachen lernen, Deutsch lernen… die Zeitungen, Zeitschriften, Radiomeldungen sind voll von Argumenten dafür und dagegen. Die Allgemeinheit scheint ganz selbstverständlich zu wissen, wie Sprechen lernen vor sich geht und wie Sprache möglich wird. Und tatsächlich ist es so, dass es an die 80% der Kinder wie von selbst lernen. So erübrigt sich die Mühe, sich darüber Gedanken zu machen, wie die Bedingungen dazu sind und wie dieser Prozess verläuft.
Die Frage jedoch ist:
Gibt es verlässliche, erwiesene Anhaltspunkte, die ohne Glauben und Meinungen eine tragfähige politische Entscheidung erlauben?
Im Folgenden soll diesbezüglich einiges bekannt gemacht werden.
Mit freundlichen Grüssen
Dr. Barbara Müller
Lesen kann doch jeder!
HARDI FISCHER, seinerzeit Professor an der Eidgenössischen technischen Hochschule (ETH) erwähnt:
„Wenige Menschen machen sich eine Vorstellung davon, welch komplizierte Vorgänge sich hinter dem Sprechen verbergen. Wer die als selbstverständlich und natürlich erscheinenden Vorgänge verstehen will, benötigt eingehende Kenntnisse der neuronalen Verarbeitungs-und Steuerungsabläufe“, dazu die Kenntnis der Funktion der betreffenden Organe und obendrein das Wissen, wie sich Sprachen strukturieren.
Zunächst arbeiten drei in sich unabhängige Sinnesbereiche zusammen.
- Sprechen mit all seinen Ausdrucksmöglichkeiten wird gehört.
Gesprochenes hören allein ist schon ein ausgeklügelter Vorgang im Körper, der physikalische Eindrücke von aussen physiologisch umsetzt. Das besondere daran: Der Klang taucht auf und verklingt. Es braucht also eine Möglichkeit, sich beim erneuten Erklingen daran zu erinnern: Aha! Das habe ich schon einmal gehört.
Dieses „Gehörtes erinnern können“ ist familiär unterschiedlich angelegt. Landläufig könnte es mit Musikalität verglichen werden.
- Wie aber kommt jemand zum Sprechen, genauer gesagt, zum Äussern von Lauten? Ausatmung und Stimme sind beteiligt, dazu die unterschiedlichen Muskeln im Mundbereich, die öffnen, schliessen und verengen können. Ansatz dazu sind bei den Neugeborenen saugen und in der Folge kauen.
- Was jetzt geschieht, ist direkt phänomenal. Der gehörte Sprachklang steuert die entsprechende Muskulatur fürs Aussprechen.
- Beim Lesen, wie es allgemein verstanden wird, spielen die Augen die Hauptrolle. Sie können dorthin schauen, wo es ihnen beliebt.
- Warum aber gibt es Illetristen, das heisst, Leute, denen das Lesen mittels Buchstaben fremd ist? In unseren Landen sind doch Buchstaben überall zu sehen. Leider bleiben die Buchstaben und Zeichen von sich aus stumm, dies bei allen verschrifteten Sprachen.
Fürs Lesen muss klar sein, welches Zeichen wie gesprochen wird, und dafür ist jemand nötig, der es einem sagt.
Wohlgemerkt: es geht als erstes darum, die Technik des Lesens zu erwerben, denn Lesen heisst als erstes nichts anderes, als nach einer Vorlage zu sprechen. Den Inhalt verstehen ist dann das zweite Kapitel.
Spracherwerb Schweizerdeutscher Kinder
An der Abteilung für Logopädie der Universitätskinderklinik Zürich wurde unlängst von der Abteilungsleiterin lic. phil. Hilda Geissmann, dipl. Logopädin, eine Längsschnittstudie zum „Spracherwerb Schweizerdeutscher Kinder im Alter von 1.6 Jahren bis 4.Klasse“ durchgeführt.
An der Studie beteiligten sich zuweisende Kinderärzte und Kinderärztinnen, Fachpersonen, Eltern und ihre Kinder, das Studienteam Logopädie und die Entwicklungspädiatrie.
Als Untersuchungsinstrumente wurden Elemente der Spielentwicklung, der Sprech- Sprachent- wicklung und der Kommunikationsentwicklung eingesetzt. Zudem erfolgten eine Hör- und eine entwicklungspädiatrische Abklärung.
Folgendes sind Tatsachen:
Kleine Kinder lernen sprechen und Sprache nur, wenn sie angesprochen werden, im direkten Dialog. (Bei hörgeschädigten Kindern verstummt das anfänglich im ersten Lebensjahr vorhandene Plaudern.) Die sprachsensible Phase dauert bis ca zum 5.Lebensjahr.
Dazu gehören
das mühelose Übernehmen einer Sprachmelodie
das spontane sofortige Nachsprechen von Gehörtem (Papagei)
aus dem Gehörten eigene Wörter bilden, die zum Inhalt passen oder erfunden sind
Floskeln sagen, die zu einer gegebenen Situationen passen
über komisch klingende Wörter lachen
Kritisch wird es, wenn kleine Kinder im Alter von 2 Jahren weniger als 50 Wörter sprechen, keine Zweiwortsätze wie „Mami chauf“, „Auto put, „ Hund wauwau“ äussern, aber sich ohne weiteres mit Zeigen, Mienenspiel, sich Bewegen verständlich machen können.
Wie wird die Sprachentwicklung weiter verlaufen?
Werden die Kinder bis zum dritten Lebensjahr altersentsprechend erzählen?
Fehlen beim Sprechen lediglich noch einzelne Laute?
Oder sprechen einzelne Kinder mit drei Jahren noch kaum mehr als beim Einsetzen des Sprechbeginns, obwohl sie sich mit Zeigen und Mienenspiel bestens verständigen. Sie verstehen die an sie gerichteten altersentsprechenden Aufträge, haben kein Hörproblem, verstehen auch Situationszusammenhänge und reagieren entsprechend.
Was zeigt die oben erwähnte Längsschnittstudie?
Diese Kinder sind vor allem beim Sprechen auffällig, genauer beim Äussern von Wörtern.
- Es fehlen Konsonanten
- Verben werden spärlich eingesetzt
- Sätze sind unvollständig oder die Wortstellung wird verdreht
- grammatische Veränderungen kommen vor
Kurz gesagt: je weniger Wörter gesprochen werden können, je mehr sind auch Verb- und Satzproduktion betroffen. Das heisst, das korrekt Gehörte wird auf dem vorhandenen neuronalen Weg nur erschwert mit der entsprechenden Sprechmotorik verbunden und verlangt vermehrt geduldige Anregung während der sprachsensiblen Phase.
Zudem hat die Studie einen klaren negativen Zusammenhang zu einer familiären Disposition ergeben. Besteht in der Verwandtschaft 1.Grades eine sogenannte Spezifische Sprachentwicklungs störung mit ihren Folgen wie Lese-Rechtschreibschwierigkeiten, was ja erst das Schulalter betrifft, ist die Wahrscheinlichkeit 4 x höher, dass bei verzögertem oder unangemessenem Vorgehen eine solche auch in der folgenden Generation auftreten kann.
Eine gute Veränderung kann erreicht werden
je jünger ein Kind ist
je kommunikativer mit Sprechen und Antworten ein Kind ist
je anerkennender Eltern und Bezugspersonen über das betroffene Kind sprechen
je besser sich das betreffende Kind auch ohne Worte verständlich machen kann.
Tritt ein Versagen im sprachlichen Bereich erst im Schulalter auf, bleibt dieses auch bei intensivem Bemühen bis zu 70% bestehen. Man bedenke die hohen Kosten und den geringen Erfolg.
Was verdeutlichen diese Informationen?
- Das frühe Sprechen- und Sprachenlernen kann nur dann ein Anliegen von Schulpolitikern und Schulpolitikerinnen sein, wenn sie mit den entsprechenden Grundlagen vertraut sind.
- Die Bestimmung, eine andere als die Muttersprache bereits nach zwei Schuljahren Lesen und Schreiben Lernen für alle Schulkinder obligatorisch zu erklären, ist ein klarer schulpolitischer Fehlentscheid.
- Die flächendeckende allgemeine Leistungsmessung des sprachlichen Outputs bis zum12. Altersjahr ist als ein gigantischer Bluff zu bezeichnen. An die 80% der Kinder können es „wie von selbst“, mit welchen Methoden auch immer. Falls bei ihnen Unstimmigkeiten auftreten, sind die zugrunde liegenden Lehrmittel und deren Autoren und Autorinnen in Pflicht zu nehmen.
Die Entdeckung der Sprache
Lange bevor bei Bebes das Sprechen aktuell wird, erleben sie, wie sie in die Arme genommen, gewickel, gestillt werden. Mit Krabbeln erkunden sie ihre Umwelt, später mit Stehen und Gehen ihre Möglichkeiten. Sie sind eingebunden in Erlebnisse, Gefühle sind beteiligt. Im Umfeld,wie sie aufwachsen, sammeln sie Welterfahrungen. Wenn sie beim Krabbeln einen Apfel erwischen, mit ihren Zähnchen hineingebissen und den Saft gelutscht haben, so kennen sie etwas vom Apfel. Aber wie sollen sie später sagen? Öpfu, Surgrauech, Apfel, Apple, Pomme, Mele oder Ringo? Das sind zwei völlig unterschiedliche Bereiche. Erfahrungen machen gehört zum sogenannten kognitiven Bereich, Wörter wissen explizit zum Vorgang des Sprechens.
Kleine Kinder entdecken bald, dass sie mit Lautäusserungen in ihrem Umfeld etwas bewirken können. Zweisilbige Wörter werden möglich und umfassen einen ganzen Erlebnisbereich. So ist „Mami“ auch die Grossmutter oder die Betreuungsperson. Dieser ursprüngliche Erlebnisbereich bleibt und ist auch später mit jedem geäusserten Wort mitgemeint. Was alles wird zum Beispiel mit einem Begriff wie „Kind“mitgedacht? Vater, Mutter, Geschwister… Oder „Hammer“: Nagel, Vogelhaus bauen schlagen, Hand verletzen, Gewicht.. Ein ganzer Wissensbereich gibt einem einzelnen Konzept eine Bedeutung. Zustimmende Äusserungen lassen einen ein wohliges Gefühl erleben, Beschimpfungen bringen Tränen hervor. Mehr dazu bei Dr. Elisabeth Wehling
Zur Forschungsarbeit von Simone Pfenninger
Medienmitteilung vom 10.12.2014
Wie eingangs erwähnt, ist Sprechen Lernen für die Allgemeinheit kein Problem. So können zwar linguistische Untersuchungen gewisse Zusammenhänge aufzeigen. Gymnasiasten und Gymnasiastinnen besuchen jedoch bereits Sekundarstufe II und es ist anzunehmen, dass bei ihnen Sprechen lernen wie von selbst statt gefunden hat. Was überprüft wurde, waren „grammatikalische Korrektheit und Komplexität, Sprachfluss, Grammatikalitätsbeurteilung, sowie inhaltliche und strukturelle Aspekte des schriftlichen Ausdrucks“. Schriftlichkeit scheint den Vorrang zu haben. Das ist aber dem Sprechen lernen nachgestellt und kann mit den zwei von KONRAD DUDEN 1901 aufgestellten Grundregeln einigermassen zufriedenstellend erarbeitet werden. Für die englische Rechtschreibung ist dies sehr viel schwieriger.
Dass sich Sprachen mischen, lässt sich in Familien, deren Eltern in unterschiedlichen Sprachgegenden aufgewachsen sind, immer wieder feststellen.
Meine Partei?
Der Fünftel aller heranwachsenden Kinder, die schulisch trotz guter allgemeiner Intelligenz im Bereich Sprache regelmässig ausgegrenzt werden aus Mangel an Wissen der zuständigen Personen.